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02.04.2020

Gaspreiserhöhung kann auch ohne persönliche Kundenmitteilung wirksam sein.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute entschieden, dass eine Gaspreiserhöhung im Rahmen der Grundversorgung auch ohne eine persöhnliche Kundenmitteilung wirksam sein kann, wenn der Energielieferant lediglich eine Erhöhung seiner Bezugspreise an die Kunden weiter gibt. Der Energielieferant haftet den Kunden dann jedoch für etwaige Schäden aus der unterlassenen persöhnlichen Kundenmitteilung (Urt. v. 02.04.2020, Az. C 765/18).

Zum Sachverhalt:

Der EuGH hatte über ein Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Koblenz zu entscheiden.

Im Ausgangsrechtsstreit stritten die Stadtwerke Neuwied und der Kunde RI um die Wirksamkeit einer Gaspreiserhöhung. RI ist seit dem 28.07.2004 Kunde der Stadtwerke Neuwied. Dieser Gasversorger hat seine Leistungen im Rahmen eines Grundversorgungsvertrags erbracht. Zwischen Januar 2005 und September 2011 nahmen die Stadtwerke Neuwied Tariferhöhungen vor, die dem Anstieg der Bezugskosten von Erdgas entsprachen, und berücksichtigten dabei die Ersparnisse in anderen Bereichen der Sparte Gas. Sie verlangen nun von RI die Zahlung eines Betrags von 1.334,71 €, der den aufgrund der Tarifanpassungen geschuldeten Rückständen entspricht. RI wurde nicht persönlich über diese Anpassungen informiert. Die Stadtwerke Neuwied veröffentlichten ihre Preise und ihre allgemeinen Tarife sowie die Vertragsanpassungen jedoch auf ihrer Internetseite. Die Tariferhöhungen wurden zudem in der regionalen Presse veröffentlicht.

RI machte vor Landgericht Koblenz geltend, dass der mit den Stadtwerken Neuwied geschlossene Versorgungsvertrag keine wirksame Preisgleitklausel enthalte, und bestritt die Ansprüche der Stadtwerke Neuwied. Er vertritt insbesondere die Ansicht, dass den Stadtwerken Neuwied kein wirksames Preisanpassungsrecht zugestanden habe, dass der geforderte Verbrauchspreis unbillig sei und dass das einseitige Preisbestimmungsrecht nach § 4 AVBGasV, sofern es bestehen sollte, intransparent sei. RI schließt daraus, dass die Erhöhungen des Gaspreises unwirksam gewesen seien. RI erhob zudem Widerklage, mit der er die Feststellung, dass die vom Versorger bestimmten Preise unbillig und unwirksam seien, und die Rückzahlung eines Teils der Beträge beantragt, die er zwischen dem 1. Januar 2005 und dem 31. Dezember 2011 an die Stadtwerke Neuwied gezahlt hat.

Nach Ansicht des Landgericht Koblenz hängt die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit von der Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/55 ab. Das Versäumnis der Stadtwerke Neuwied, den Verbraucher rechtzeitig und direkt über die Erhöhungen des Gaspreises zu informieren, könne deren Gültigkeit in Frage stellen, weil die sich aus Art. 3 Abs. 3 und Anhang A Buchst. b und c der Richtlinie 2003/55 ergebende Transparenzanforderung in einem Rechtsstreit wie dem des Ausgangsverfahrens unmittelbar geltend gemacht werden könne, obwohl die Richtlinie im streitigen Zeitraum nicht in deutsches Recht umgesetzt gewesen sei.

Das Landgericht Koblenz möchte vom EuGH wissen, ob die Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die unterbliebene rechtzeitige und direkte Information der Gaskunden über Voraussetzungen, Anlass und Umfang einer bevorstehenden Tarifänderung für Gaslieferungen der Wirksamkeit einer solchen Tarifänderung entgegensteht.

Die Entscheidung des EuGH:

Der EuGH hat die Vorlagefrage verneint. Die Unterlassung der (rechtlich gebotenen) persönlichen Kundenmitteilung steht der Wirksamkeit der Preiserhöhung nicht entgegen. Die Stadtwerke Neuwied haften dem Kunden jedoch für einen diesem wegen der Unterlassung der persönlichen Kundenmitteilung etwa entstandenen Schaden.

Der Zweck der Richtlinie 2003/55 ist die Verbesserung der Funktionsweise des Gasbinnenmarkts. Insoweit ist ein nicht diskriminierender, transparenter und zu angemessenen Preisen gewährleisteter Netzzugang Voraussetzung für einen funktionierenden Wettbewerb und von größter Bedeutung für die Vollendung des Gasbinnenmarkts. Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der Endkunden und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzes ergreifen. Ferner können die Mitgliedstaaten einen Versorger letzter Instanz benennen, um die Versorgungssicherheit der am Gasnetz angeschlossenen Kunden zu gewährleisten. Zumindest im Fall der Haushaltskunden schließen diese Maßnahmen jedenfalls die in Anhang A aufgeführten Maßnahmen ein.

Nach Anhang A Buchst. b der Richtlinie 2003/55 sollen die in deren Art. 3 Abs. 3 genannten Maßnahmen insbesondere gewährleisten, dass die Dienstleister ihren Kunden direkt jede Gebührenerhöhung mit angemessener Frist mitteilen, auf jeden Fall jedoch vor Ablauf der normalen Abrechnungsperiode, die auf die Gebührenerhöhung folgt. Ferner stellen die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung sicher, dass es den Kunden freisteht, den Vertrag zu lösen, wenn sie die neuen Bedingungen der Gasversorgung nicht akzeptieren. Nach Anhang A Buchst. c der Richtlinie erhalten die Kunden transparente Informationen über geltende Preise und Tarife.

Dem Wortlaut dieser Bestimmungen ist nicht zu entnehmen, ob die Einhaltung der den Gasversorgern obliegenden Transparenz- und Informationspflichten eine Voraussetzung für die Gültigkeit der Tarifänderungen der Gaslieferung ist. Der EuGH hatte für die Auslegung der Bestimmung die Interessen der Verbraucher mit den Interessen der Energielieferanten im Lichte des Zwecks der Richtlinie abzuwägen. Einerseits wird die praktische Wirksamkeit der Rechte der Verbraucher beschnitten, wenn sie den Vertrag nicht vor der Preiserhöhung kündigen können, weil sie durch die Pflichtverletzung des Energielieferanten nicht rechtzeitig Kenntnis erhalten. Andererseits ist bei „Versorgern letzter Instanz“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2003/55 (in Deutschland: "Grund- und Ersatzversorger") zu beachten, dass sie zur Versorgung verpflichtet sind und den Vertrag nicht selbst kündigen dürfen.

Der EuGH hat daher entschieden, dass die Gültigkeit einer Tariferhöhung, die der Umwälzung des Anstiegs der Bezugskosten entspricht, nicht von der persönlichen Information der Kunden abhängt, da der Versorger die Versorgungssicherheit seiner Kunden zu gewährleisten hat. Andernfalls könnte das vom Gasversorger getragene wirtschaftliche Risiko sowohl die Verwirklichung des mit der Richtlinie 2003/55 verfolgten Ziels der Versorgungssicherheit in Frage stellen als auch die wirtschaftlichen Interessen dieses Versorgers unverhältnismäßig beeinträchtigen. Das Unterbleiben einer persönlichen Mitteilung der Tarifänderungen stellt gleichwohl eine Beeinträchtigung des Verbraucherschutzes dar. Deshalb ist zum einen erforderlich, dass der Kunde den Vertrag jederzeit kündigen kann. Zum anderen müssen dem Kunden angemessene Rechtsbehelfe offenstehen, damit er Ersatz für den Schaden verlangen kann, der gegebenenfalls entstanden ist, weil er nicht die Möglichkeit hatte, rechtzeitig sein Recht auszuüben, den Versorger zu wechseln, um einen günstigeren Tarif zu erhalten.

Rat und Tat für Sie:

Die Entscheidung wurde in der Presse teilweise sehr verkürzt wieder gegeben. Dadurch kann der Eindruck entstanden sein, dass Gas- oder Strompreiserhöhung nach Auffassung des EuGH in sehr weitem Umfang wirksam seien, auch wenn der Energielieferant den Kunden nicht persönlich benachrichtigt hat. Diese Eindruck wäre unzutreffend. Die Entscheidung des EuGH beruht vielmehr auf sehr engen Voraussetzungen.

  1. Die Entscheidung gilt nur für die Grund- und Ersatzversorgung. Der EuGH begründet seine Entscheidung ausdrücklich mit den Besonderheiten dieser Versorgungsverhältnisse. Eine Übertragung der Entscheidung auf freiwillig eingegangene Belieferungsverträge über Gas oder Strom außerhalb der Grund- und Ersatzversorgung ist nicht möglich.
  2. Der Energielieferant muss die Preiserhöhung rechtzeitig jedenfalls öffentlich bekannt gemacht haben.
  3. Der Energielieferant darf durch die Preiserhöhung wirklich nur seine gestiegenen Bezugspreise weitergeben, was er im Streitfall beweisen muss. Führt die Preiserhöhung auch zu einer Erhöhung seiner Gewinnmarge, greift die Entscheidung des EuGH nicht.
  4. Auch wenn die Preiserhöhung im Ergebnis als wirksam anzusehen ist, verletzt der Energieversorger mit der Unterlassung der persönlichen Kundenmitteilung seine vertraglichen Pflichten gegenüber dem Kunden. Der Energieversorger haftet dem Kunden daher auf Schadensersatz. Ein Schaden ist dem Kunden z.B. entstanden, wenn er bei einer rechtzeitigen persönlichen Mitteilung der Preiserhöhung den Vertrag sofort gekündigt und einen anderen Vertrag zu günstigeren Konditionen abgeschlossen hätte. In diesem Fall kann der Kunde die entstandenen Mehrkosten ersetzt verlangen.

Hat auch Ihr Strom- oder Gaslieferant eine Preiserhöhung vorgenommen und Sie darüber nicht persönlich informiert? Gern beraten wir Sie zu Ihrem individuellen Energieliefervertrag. Bitte nutzen Sie für Ihre Fragen unser Online-Rechtsberatungsformular.


Quelle: Volltext des Urteils des EuGH

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