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13.02.2020

Zur gerichtlichen Zuständigkeit für Entschädigungsansprüche nach der Fluggastrechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) bei der Verspätung oder Annullierung nur des letzten Fluges eines aus mehreren Teilstrecken bestehenden Fluges.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat heute entschieden, dass Entschädigungsansprüche aus der Fluggastrechte-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) wegen der Annullierung oder Verspätung eines Fluges bei einem einheitlich gebuchten, aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flug auch dann bei dem für den Abflugort zuständigen Gericht geltend gemacht werden können, wenn nur der letzte Teilflug verspätet ist oder annulliert wird (Beschl. v. 13.02.2020, Az. C-606/19).

Zum Sachverhalt:

Der EuGH hatte über ein Vorabentscheidungsersuchen des Amtsgerichts Hamburg zu entscheiden.

Der Ausgangsrechtsstreit geht auf einen aus drei Teilflügen bestehenden Flug von Hamburg (Deutschland) über London (Vereinigtes Königreich) und Madrid (Spanien) nach San Sebastian (Spanien) zurück, der für den 25. August 2018 vorgesehen war. Zwei Fluggäste hatten für diesen Flug eine bestätigte einheitliche Buchung getätigt. Der erste Teilflug von Hamburg nach London wurde von British Airways durchgeführt. Für die beiden weiteren Teilflüge von London nach Madrid und von Madrid nach San Sebastian war das Luftfahrtunternehmen Iberia beauftragt. Während die ersten beiden Teilflüge ohne Zwischenfall verliefen, wurde der dritte Teilflug annulliert, ohne dass die in Rede stehenden Fluggäste rechtzeitig informiert worden sind. Die in Rede stehenden Fluggäste haben Ihre Rechte an die flightright GmbH abgetreten. flightright hat beim vorlegenden Amtsgericht Hamburg gegen Iberia Klage auf Ausgleichszahlungen in Höhe von insgesamt 500 €, d.h. 250 € pro Fluggast, auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 erhoben, da die Entfernung zwischen Hamburg und San Sebastian etwa 1.433 km beträgt.

Das Amtsgericht Hamburg zweifelt zum einen an seiner internationalen Zuständigkeit für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit und zum anderen daran, dass die in Rede stehenden Fluggäste Klage gegen die beiden Luftfahrtunternehmen erheben können, die an der Durchführung des dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Flugs mit Anschlussflügen mitgewirkt haben. Es möchte insbesondere wissen, ob es in Bezug auf den annullierten Teilflug für die Entscheidung über den Ausgangsrechtsstreit zuständig ist, obwohl der Abflug- und der Ankunftsort dieses Teilflugs, nämlich Madrid bzw. San Sebastian, jeweils außerhalb seiner Zuständigkeit liegt.

Die Entscheidung des EuGH:

Der EuGH hat die Zuständigkeit des Amtsgericht Hamburg bejaht.

Nach Art. 7 Nr. 1 Buchst. b zweiter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1215/2012 kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wegen vertraglicher Ansprüche in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, wenn dort vertragliche Dienstleistungen erbracht worden sind oder hätten erbracht werden müssen (Erfüllungsort).

Durch diese Zuständigkeitsregelung ist die gleichwertige frühere Regelung in Art. 5 Nr. 1 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 abgelöst worden. Die Auslegung von Art. 5 Nr. 1 Verordnung Nr. 44/2001, die der EuGH vorgenommen hat, gilt daher auch für Art. 7 Nr. 1 Verordnung Nr. 1215/2012.

In Bezug auf Art. 5 Nr. 1 Verordnung Nr. 44/2001 hat der EuGH im Fall von Direktflügen entschieden, dass sowohl der Ort des Abflugs als auch der Ort der Ankunft des Flugzeugs gleichermaßen als Erfüllungsort anzusheen sind. Eine auf Ausgleichszahlungen nach der Flugastrechte-VO gerichte Klage kann Fluggast daher entweder bei dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich der Ort des Abflugs liegt oder bei dem Gericht, in dessen Zuständigkeit der Ort der Ankunft liegt, erheben (vgl. Urt. v. 09.07. 2009, Rehder, C‑204/08, EU:C:2009:439, Rn. 43 und 47).

Insoweit hat der Gerichtshof festgestellt, dass der Begriff „Erfüllungsort“, wie er im Urteil vom 9. Juli 2009, Rehder (C‑204/08, EU:C:2009:439), ausgelegt wurde, auch wenn er sich auf einen Direktflug bezieht, entsprechend auch für den Fall gilt, in dem der Flug mit Anschlussflügen, der durch eine einheitliche Buchung für die gesamte Reise gekennzeichnet ist, aus zwei Teilflügen besteht (vgl. Urt. v. 07.03.2018, flightright u. a., C‑274/16, C‑447/16 und C‑448/16, EU:C:2018:160, Rn. 69 und 71).

Folglich hat der Fluggast bei einem aus zwei Teilflügen bestehenden Flug die Wahl, ob eine Klage auf Ausgleichszahlungen bei dem Gericht erhebt, in dessen Zuständigkeitsbereich der Abflugort des ersten Teilflugs liegt, oder bei dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich der Ankunftsort des zweiten Teilflugs liegt.

Daraus folgert der EuGH, dass der Fluggast bei einem aus mehr als zwei Teilflügen bestehenden Flug eine Klage auf Ausgleichszahlungen jedenfalls bei dem Gericht erheben kann, in dessen Zuständigkeitsbereich der Abflugort des ersten Teilflugs liegt. Dieser Ort weist eine hinreichend enge Verbindung zum Sachverhalt auf, so dass die nach den in Art. 7 Nr. 1 Verordnung Nr. 1215/2012 aufgestellten besonderen Zuständigkeitsregeln vorgegebene enge Verknüpfung zwischen dem Vertrag über eine Beförderung im Luftverkehr und dem zuständigen Gericht besteht.

Rat und Tat für Sie:

Die Entscheidung steltl sich als logische Folge der bisherigen Rechtsprechung des EuGH dar, auf die der EuGH hier selbst Bezug genommen hat. Es wäre auch schwer nachvollziehbar, warum bei einem aus zwei Teilflügen bestehenden Flug die Zuständigkeit des für den Abflugort zuständigen Gerichts begründet sei sollte, bei einem aus drei (oder mehr) Teilflügen bestehen Flug aber nicht. Insofern hätte das Amtsgericht Hamburg die Frage auch selbst beantworten können.

Nicht entschiden hat der EuGH, ob die Klage bei einem aus mehr als zwei Teilflügen bestehenden Flug auch bei dem für den Ankunftsort des letzten teilfluges zuständigen Gericht erhoben werden kann, weil diese Frage nicht Gegenstand des Vorlagebegehrens des Amtsgericht Hamburg war. Auch insofern kann aber anhand der bisherigen Rechtsprechung des EuGH kein ersthafter Zweifel bestehen. Bei einem aus zwei Teilflügen bestehenden Flug kann eien Klage auf Ausgleichszahlungen auch an dem für den Ankunftsort des zweiten Teilfluges zuständigen Gericht erhoben werden, weil auch diser Ort "Erfüllungsort" des Beförderungsvertrages ist. Dementsprechend ist bei eionem aus mehr als zwei Teilflügen bestehenden Flug auch der Ankunftsort des letzten Teilfluges "Erfüllungsort".

Im Ergebnis bedeutet das für die Fluggäste, dass sie bei einem aus mehreren Teilflügen bestehenden Flug, der einheitlich gebucht und bestätigt wurde, eine Klage auf Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechte-VO wahlweise immer bei dem Gericht des Abflugorts des ersten Teilflugs oder dem Gericht des Ankunftsorts des letzten Teilflugs erheben können. Ausgleichszahlungen aufgrund der Verspätung oder Annullierung von Flügen von und nach Deutschland können damit auch dann in Deutschland geltend gemacht werden, wenn der gebuchte Flug aus mehreren Teilflügen bestand.

Quelle: Volltext des Beschlusses des EuGH

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